Alles eine Frage der Perspektive by Dora Heldt

Alles eine Frage der Perspektive by Dora Heldt

Autor:Dora Heldt [Heldt, Dora]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783423437653
Herausgeber: dtv


Perfekt gestylt

Die Frage, ob ich eitel bin, würde ich eigentlich mit Nein beantworten. Natürlich gehe ich regelmäßig zum Friseur, dusche täglich und bemühe mich, einigermaßen passend und modisch gekleidet zu sein. Aber es kann durchaus passieren, dass ich tagelang nur Jeans und Pulli trage, das T-Shirt darunter nicht gebügelt ist und die Haare morgens nur den Fön, aber keine formende Bürste gesehen haben. Für den Alltag, gute Freunde, den Schreibtisch und den benachbarten Supermarkt reicht das.

Aber dann gibt es auch Gelegenheiten, wo ich mir selbst Stress mache. Obwohl ich das gar nicht will. Aber ich muss. Neulich war ich bei einer Feier eingeladen, von der ich wusste, dass ich dort jede Menge schöner Menschen, die viel Geld in Kleidung und Kosmetik stecken, treffen werde. Da kann ich mir vorher tausendmal sagen, dass es überhaupt nicht auf Äußerlichkeiten ankommt, dass doch innere Werte zählen, dass ich eben so aussehe, wie ich aussehe, und bereits Mitte fünfzig, aber sehr nett bin, ich verliere trotzdem die Nerven. Irgendwann stehe ich verzweifelt vor dem Kleiderschrank, ziehe mich das zehnte Mal um, leihe mir von Nele die teuren High Heels und lasse mich von einer Kosmetikerin für viel Geld professionell schminken. Damit ich mich nicht falsch fühle. Unter all den scheinbar perfekten Leuten. Und noch während des Abends ärgere ich mich darüber. Dass ich immer noch nicht genug Selbstvertrauen habe, anders als die anderen auszusehen, dass ich auf solche Äußerlichkeiten Wert lege und das Ganze mitmache. Als wenn ich dazugehören wollte.

Beim letzten Mal habe ich mir überlegt, wie viele von diesen perfekten Frauen wohl vor ein paar Stunden genauso verzweifelt vor ihrem Schrank gestanden haben. Ich habe das Nele gefragt, und die hat gemeint, es wären vermutlich einige. Und sie könnte nicht verstehen, dass man sich überhaupt so einen Druck macht. Ich müsste ja nicht im Jogginganzug auf eine Hochzeit gehen, aber dieses Aufbretzeln, nur weil alle das tun, das wäre doch albern. Ich solle mal ein bisschen an meine Stärken glauben und mich nicht immer mit den anderen vergleichen. Außerdem sollte es mir doch völlig egal sein, was irgendeine aufgedonnerte Schnecke über mein Make-up oder mein Outfit denke. Ich sei doch erwachsen und selbstbestimmt.

Sie hat ja recht. In Zukunft ziehe ich mich gut, aber nicht übertrieben an, schminke mich selbst und schaue mal, was passiert. Nur mit den Schuhen ist es schwierig. Die Gastgeberin morgen war mal mit meinem Ex-Freund zusammen, ist 1,80 Meter groß, ganz dünn und trägt immer hohe Schuhe. Wenn ich in flachen Schuhen hingehe, reiche ich ihr bis zur Brust. Und sie guckt auf mich runter. Das muss ja nicht sein. Auf dem Weg zu Nele, um die High Heels zu leihen, grüßt

Ihre Dora Heldt



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